Gesundheitswesen 2011; 73(10): 705-712
DOI: 10.1055/s-0030-1255089
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tabaksteuern, Schmuggel und unversteuerte Zigaretten – Zur Glaubwürdigkeit der „Entsorgungsstudie“ der Tabakindustrie

Excise Taxes on Tobacco and the Problem of Smuggling – Concerning the Credibility of the Tobacco Industry's “Discarded-Cigarette-Packages-Study”M. Adams1 , T. Effertz1
  • 1Institut für Recht der Wirtschaft, Universität Hamburg
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Publication Date:
16 September 2010 (online)

Zusammenfassung

Tabakkonsum stellt eine der größten vermeidbaren Krankheitsursachen dar. Ein zugleich wirkungsvolles fiskalisches wie präventiv für den Gesundheitsschutz wirkendes Instrument sind höhere Tabaksteuern. Die Zigarettenindustrie in Deutschland behauptet seit Jahren, dass höhere Steuern aufgrund der damit verbundenen höheren Preise zu einem erheblichen Anstieg von nicht in Deutschland versteuerten Zigaretten führten und damit sowohl Kosten für die Kriminalitätsbekämpfung als auch fiskalische Einbußen einhergingen. Begründet wird dies mit der sog. „Entsorgungsstudie“ der Ipsos GmbH, die in angeblich repräsentativen Müllstichproben weggeworfene Zigarettenschachteln erfasst und einen Anteil der nicht in Deutschland versteuerten Zigaretten ermittelt, der dann für den gesamten Zigarettenkonsum hochgerechnet wird. Wir zeigen, dass diese Untersuchung methodische Fehler und Ungenauigkeiten aufweist und darauf angelegt zu sein scheint, den Anteil an nicht in Deutschland versteuerten Zigaretten möglichst hoch erscheinen zu lassen. Für die vom Deutschen Zigarettenverband behauptete Aufteilung, dass von den angeblich aufgefundenen nicht in Deutschland versteuerten Zigaretten zwei Drittel illegal nicht versteuert worden seien, fehlt jegliche belegbare empirische Grundlage.

Abstract

The consumption of tobacco products is one of the main causes of illnesses. An often neglected but highly effective instrument for fiscal and preventive purposes is higher taxes on tobacco products. The tobacco industry however claims that higher taxes have tremendous effects on smuggling activity with additional costs with regard to law enforcement. The claim appears to be substantiated by a study which collects and documents the amounts of discarded empty cigarette packs, and which is used to estimate the fraction of illegally imported cigarettes. We show that this study makes use of systematic misspecifications and impreciseness and thus seems to pursue the aim of showing an exaggerated high amount of illegally imported cigarettes. The industry's claim that two thirds of non-taxed cigarettes in Germany are imported illegally, thus lacks any sound, well-grounded empirical corroboration.

Literatur

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1 Vgl. Aussage in der Märkischen Allgemeinen vom 28.05.2009 im Internet unter http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11504076/485072, abgerufen am 29.01.2010.

2 Vgl. Abschlussbericht der Fieldfacts GmbH (11); der Bericht wurde im Rahmen einer Studienarbeit beim VdC in Berlin im Jahr 2007 eingesehen, fotokopiert und liegt den Autoren vor.

3 Hierzu zählten die Seriennummer auf der Packung, die Erfassungder Zigarettenmarke, des Stadtgebietes mit näheren Charakteristika wie Unterscheidungen in Büro/Einkaufsgebiet oder Stadt/Großraum-Umgebung, Datum des Fundes, Adresse und Fundort.

4 Dies liegt methodisch darin begründet, dass Fieldfacts die notwendigen Stichprobenumfänge gemäß den in der „Tabakzeitung“ veröffentlichten Markenanteilen in Deutschland geschätzt hat. Der Aufschlag für die unversteuerten Zigaretten, obwohl nicht explizit im Bericht erwähnt, geht damit ebenfalls additiv in die Stichprobe mit einem unterstellten Anteil von 10% (12) ein.

5 Vgl. Abschlussbericht Fieldfacts (11), Seite 4.

6 Vgl. hierzu die Ausführungen von The Nielsen Company (Germany)GmbH im Internet unter http://de.nielsen.com/company/acnielsengebiete.shtml, abgerufen am 31.01.2010.

7 Genauer: für den Erhebungszeitraum im Sommer 2004. Überdies ist im Anhang des Berichts von Fieldfacts (11) eine Erklärung des Vorstandsvorsitzenden zu finden, keine anderen geschäftlichen Beziehungen mit einem dem VdC angehörenden Unternehmen zu haben.

8 In Bräuninger/Schulz (8) ist von „Ipsos-Studie“ die Rede, der TÜV (12) sprach von der Fieldfacts-Studie als „streetpack-collection“.

9 Wir beziehen uns hier auf die erklärenden Ausführungen in den im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen 8, 11–13.

10 Wortlaut in den Grafiken des DZV im Internet unter http://www.zigarettenverband.de/de/18/Zahlen_&_Fakten/ Nicht_Versteuerter_Zigarettenabsatz , abgerufen am 29.01.2010.

11 Hier fallen bereits erste Ungenauigkeiten auf: Der Ausdruck „mehr als“ ist deshalb irreführend.

12 Vgl. ebenfalls Meldung in der Märkischen Allgemeinen vom 28.05.2009 im Internet unter http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11504076/485072, abgerufen am 29.01.2010.

13 Die Autoren führen aus, dass die IPSOS GmbH wisse, ob der Müll aus städtischen oder ländlichen Regionen stamme. Weitere Ausführungen sind nicht zu finden. Vgl. Bräuninger/Schulze (8).

14 Nach Auskunft der Ipsos GmbH vom 14.06.2007 in Berlin und Herne bzw. nach Bräuninger/Schulze (8) an 3 nicht näher bezeichneten Standorten, wobei nicht ganz klar wird, warum an diesen Stellen eine größere Stichprobe gezogen wird. Nach Bräuninger/Schulze (8) wären bei 3 höheren Stichproben dann allerdings insgesamt 12 500 Packungen gesammelt worden.

15 Diese Dokumente wurden von uns im Rahmen einer vergebenen Studienarbeit eingesehen; der Verband weigerte sich aber – trotz mehrmaliger Anfragen – Dokumente zur Ipsos-Studie herauszugeben.

16 Den Nichteinbezug von Binnenbundesländern hatte bereits die Bräuninger/Schulz-Studie (8) festgestellt, aber abschließend behauptet, dass dies kein Problem darstelle. Dies geschah wiederum ohne einen methodischen Beleg vorzubringen.

17 Vgl. z. B. Mitteilung der Märkischen Allgemeinen vom 07.01.2010, im Internet unter http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11697804/61009/Ueber-die-Ost- West-Verbindung-rollt-der-Nachschub.html, abgerufen am 22.03.2010.

18 Nach Auskunft zu Informationen sog. „Shoppettes“- Preise in Kaiserslautern, in denen US-Amerikaner ihre Zigaretten erwerben können.

19 Vgl. Meldung des Zolls im Internet unter http://www.zoll.de/f0_veroeffentlichungen/a0_zigaretten/x0_2007/j91 _pm_hamburg/index.html, abgerufen am 22.03.2010.

20 Vgl. z. B. Meldung des Zollamtes Leipzig im Internet unter http://leipzig-seiten.de/index.php? option=com_content&task=view&id=7799&Itemid=91 , abgerufen am 22.03.2010.

21 Zu beachten ist hier, dass die Sammelstellen Hannover und Hannover-Stadt durch einen Punkt gekennzeichnet sind. Den Oder-Spree-Landkreis haben wir als Gebiet gekennzeichnet. Ludwigshafen und der Rhein-Pfalz-Kreis liegen ebenfalls fast übereinander.

22 Im Internet unter http://www.zigarettenverband.de/de/18/Zahlen_& _Fakten/Nicht_Versteuerter_Zigarettenabsatz, abgerufen am 31.01.2010.

23 Auch hier wird aus Bräuninger/Schulze (8) nicht klar, wie dies methodisch geschieht. Es wird lediglich ausgeführt, „es sei bekannt, ob derMüll aus ländlichen oder städtischen Regionen stamme (Seite 8)“.

24 Der Abschlussbericht des TÜVs liegt den Autoren vor und wird auch im Abschlussbericht des VdCs genannt (12,13).

25 Vgl. hierzu den Bericht in BlickKontakt 03/09, einer Informationsbroschüre der AGR-Unternehmensgruppe, zu der die BFUB gehört, im Internet abrufbar unter http://www.agr.de/de/info/infomaterial_pdf/Blickkontakt_3_2009.pdf, abgerufen am 31.01.2010.

26 Vgl. BlickKontakt 03/09 im Internet abrufbar unter http://www.agr.de/de/info/infomaterial_pdf/Blickkontakt _3_ 2009.pdf, abgerufen am 31.01.2010.

27 Vgl. Abschlussbericht der Fieldfacts GmbH (2004).

28 Dies lässt sich aus den sog. „Excise-Duty- Tables“ der Europäischen Kommission erkennen, aus denen z.  B. hervorgeht, dass neben der Mehrwertsteuer die Zigarettenpreise von der Industrie 2007 angehoben wurden, allerdings der Anteil an unversteuerten Zigaretten von 2006–2008 laut Bräuninger/Schultze (8) und DZV gleich blieb.

Korrespondenzadresse

Dr. T. Effertz

Universität Hamburg

Institut für Recht der Wirtschaft

Max-Brauer-Allee 60

22765 Hamburg

Email: tobias.effertz@mba.uni-hamburg.de

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